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Photo: George Simpson |
”Scherefe”,
schallt es aus einem Vorgarten. Die freundliche Einladung, einen Raki mitzutrinken: "Auf die Ehre!" oder
"Prost!" könnte man die Aufforderung übersetzen. Die Wäsche hängt auf der Leine,
und eine Männerschar sitzt unterm Baum, um die hochprozentige "Löwenmilch" zu schlucken. So
ist Bodrum noch immer das idyllische Dorf wie vor einigen Jahren, als es noch nicht vom Ruf ereilt worden war,
das Mekka des flippigen Jetsets zu sein.
Das antike Halikarnassos hat zwei Gesichter: das grell-bunte der Nacht und das gemütlich-lockere des Tages.
Am Abend lassen sich am Fuß des Sankt-Peter-Kastells Schwärme bunter Vögel nieder: Maler, Musikanten,
Los-, Eis- und Seelen-verkäufer, Jachtbesitzer, Muskelpakete, Strandhasen, angetörnt, aufgemotzt - ein
Laufsteg der Eitelkeiten, eine Showbühne für alle.
Wer sich zuvor von weitem dem Hafenstädtchen genähert hat, mochte mit dem Auflauf
der Schönen und Reichen nicht rechnen: Die Kulisse gleicht von der Paßhöhe aus einem wahr gewordenen
Traum. Weiße Häuser schmiegen sich in die Bucht, angestrahlt vom gleißenden Sonnenlicht. Und alles
schart sich um das mittelalterliche Sankt-Peter-Kastell, das mächtig aus dem blauen Meer aufsteigt. Bodrum
erlebt eine große Zeit - zumindest für Immobilienhändler. Die Preise ähneln bald schon denen
in St-Tropez. Denn Bodrum boomt - aber nicht zum ersten Mal.
Vor 3000 Jahren war das damalige Halikarnassos ins Blickfeld gerückt: als Schauplatz zahlreicher Feldzüge
und Seeschlachten. Herodot wurde hier geboren, einer der ersten Vielreisenden des Altertums, Vater der Geschichtsschreibung.
Dann blühte die Stadt unter dem karischen Herrscher Mausolos auf. 377 vor Christus verlegte er seinen Regierungssitz
nach Halikarnassos, das er zu einer großen Metropole ausbauen wollte. Sein Versuch, das Joch der Perser abzuschütteln
und zur Königswürde zu greifen, endete jedoch schon 366 vor Christus. Nach seinem Tod übernahm seine
Frau mit Schwester Artemisia die Geschäfte. Sie war nur drei Jahre an der Macht, aber das reichte, um der
Stadt ein Weltwunder zu bescheren: das prunkvolle Grabmal des König Mausolos, heute nur noch in den Grundmauern
erhalten. Die Johanniter hatten es abgetragen und zum Bau des Kastells an der Spitze der Halbinsel verwendet.
Die Fun-People in den verwinkelten Gassen, an der Hafenpromenade oder in der In-Freiluft-Disco "Halikarnas"
haben mit Geschichte wenig am Hut. Im Laser-show-Tempel ist tanzen bis zum Morgen-grauen angesagt: 4000 Menschen
im Agäis-Rausch, unter einem riesengroßen Vollmond. Bodrums Ruf als Metropole des Nachtlebens hat sich
herumgesprochen: in Berlin, Frankfurt und München ebenso wie in Ankara, Istanbul oder Izmir.
Am frühen Morgen ist Bodrum ganz anders: Frühaufsteher - es sind immer
sehr wenige - genießen die Sonnenaufgänge, beobachten das hektische Treiben der Fischer und das Erwachen
des Morgens. Am Abend, wenn die Sonne lange rot nachglüht, ist es Zeit, bei einem Glas Raki den Erlebnissen
des Tages nachzusinnen. Die Stimmung lässt die Seele baumeln: das pulsierende Leben, die schlanken, in den
Himmel ragenden Minarette der Moschee, die Masten von Hunderten von Schiffen. "Little China Town" nennen
die Türken den Hafen von Bodrum, weil viele der Jachten inzwischen schwimmende Häuser sind.
Zahlreiche Schiffe wurden von den Eignern luxuriös umgebaut. Da staunen bei der Vorbeifahrt auch die Passagiere
der Touristen-Gulets. Bodrum ist Bestandteil fast jeder "Blauen Reise",
jener so beliebten Segeltörns entlang der Türkis-Küste.
Und Bodrum ist in jeder Hinsicht kosmopolitisch. Das wird einem nirgendwo deutlicher als in der Cumhurriyet-Gasse,
die gleichzeitig nach Knoblauch und Parfum duftet.
Vor knapp 20 Jahren wurde Bodrum zu einem Zufluchtsort für Intellektuelle, die nach dem damaligen Militärputsch
Freiheit und Freizügigkeit suchten. Nach den Künstlern haben nun die Vergnügungslustigen das Regiment
übernommen. In derSommersaison kommen Zigtausende von Touristen dazu. Und trotzdem: Die Altstadt strahlt wie
eh und je Charme aus. Menschen drängen sich allabendlich zur blauen Stunde in eleganten Boutiquen und alternativen
Schmuckläden, vor den Ständen der Schwammtaucher und Souvenir-Shops. Silberschmuck, Designer-Klamotten,
sexy Strandfummel - für jeden ist etwas dabei. Und das Bummeln wird zum vergnüglichen Sehen und natürlich
Gesehenwerden.
Zum Spaß gerät auch ein Besuch der Burg, die vom Johanniterorden 1402 errichtet wurde. Das mächtige
Bauwerk widerstand vielen Angriffen, als aber 1522 die Johanniterfestung von Rhodos fiel, wurde auch das Bodrumer
Kastell kurz darauf von den Osmanen eingenommen. Die Burg, zu der sieben Tore führen, ist heute ein Museum.
Man hat bei einem Spaziergang herrliche Ausblicke auf die Stadt mit ihrem Jachthafen. Aber auch aufs offene Meer,
wo nicht selten Kreuzfahrtschiffe ankern. Der antike Skulpturen-Garten im Fort ist besonders für eine Skulptur
bekannt:
ein glücklich lächelndes Liebespaar. Die Figuren sind schon etwas abgegriffen. Kein Wunder: Es soll immer
währendes Liebesglück bringen, wenn Liebende den Liebesstein berühren.
Die Festung ist gleichzeitig Basis der Unterwasser Archäologen. Zahlreiche Schiffe haben sie schon aus Neptuns
Fängen geborgen. Die Ausbeute ist in einem kleinen Museum ausgestellt. Hauptanziehungspunkt ist die Schatzkammer
mit Goldschmuck und anderen Kostbarkeiten. Das älteste gehobene Schiff versank vor über 3000 Jahren.
Und vor der Küste schlummern noch viele Schätze im Meer. Ein Schatz war auch das Mausoleum, aber es blieben
nur Fundamente übrig. Auch das hellenistische Theater an der Umgehungsstraße ist nur dürftig erhalten.
Es soll einmal 12 000 Besuchern Platz geboten haben.
Trotzdem lohnt das Hinauffahren, denn die Sicht ist einmalig. Vornehmlich am frühen
Abend, wenn die Sonne tief steht, das Kastell langsam dunkelgelb erstrahlt und die Silhouette Bodrums besonders
reizvoll erscheinen lässt. Am Horizont sieht man Europa, genauer gesagt die griechische Insel Kos. Ausgefranst
und zerklüftet rechts und links die türkische Westküste und nur einen Katzensprung vom lebendigen
Bodrum entfernt, gibt es zahllose Inseln und Inselchen, tiefe Buchten und lang gestreckte Halbinseln. Hier liegt
eine der geschichtsintensivsten Zonen der Erde: Phönizier, Lakonier, lonier, Äolier, Dorer, Lyder, Perser,
Römer und derzeit vor allem Touristen aus Deutschland und England eroberten diese Gegend auf unterschiedlichste
Weise.
Die Raki-Männerrunde stört das bunte Urlaubervolk nicht. Abend für Abend nehmen sie ihren "Löwenmilch-Drink",
während die Feriengäste ins Nightlife ziehen. Zwischen türkischen Großstadt-Trendsettern,
Filmschauspielern und Vergnügungssüchtigen aus ganz Europa feiern sie ihre Party. Man wähnt sich
zwischen all den coolen Typen nicht in der Türkei, wenn Bodrum singt und swingt. Wo man die Bohemiens trifft?
Meistens in der Long Street, jener Meile entlang der Ostbucht, in der sich Lokanta an Lokanta und Bar an Bar reihen.
Bodrum hat auch früher schon Exzentriker angelockt. Der "Fischer von Halikarnassos",
Cevat Sakir, wurde 1923 in das Hafenstädtchen
ins Exil geschickt. Von ihm stammen einige Bücher und Geschichten über Bodrum. Andere Schriftsteller
folgten, aber auch Musiker, wie der vor drei Jahren verstorbene Sänger Zeki Müren, der heute schon eine
kleine Legende ist. Wer aber zeitweilig das stille Glück sucht, wird ebenso wenig enttäuscht. Im Hinterland,
in den Dörfern und auf der Halbinsel, findet man alle Ruhe dieser Welt - plus einen hübschen Sandstrand.
Und wenn's zu ruhig wird? Mit einem Shuttle-Boot ist es ein Katzensprung nach Bodrum.
Helmut Bissinger
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Bodrum Häuser aus der Sicht des Malers
Mehmet Sönmez
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Die Bodrum Postkarte |
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So soll das Mausoleum nach der Rekonstruktion von dänischen Archäeologen
ausgesehen haben, klick hier, damit Du siehst
was nach einem Erdbeben davon übrig geblieben ist


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....getanzt wird in den Meyhane's ganz spontan 


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Der Boncuk -
schützt vor dem bösen Blick |
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